https://writing.kovah.de/de/2017/1-2-3-4-leben/ Kevin Woblick

1, 2, 3, 4 Leben

Es war wieder so ein drückend schwüler Tag im Sommer. Selbst der stämmige, sonst so selbstsicher, beherrscht und auch mal etwas kühl wirkende Wirt des Gutshauses lehnte an diesem Tag mit einem Ellenbogen auf dem Tresen der Bar und schnaufte ab und zu, während er sich mit einem Putztuch den Schweiß von der Stirn wischte. Eigentlich dürfte es im Gutshaus nicht so heiß sein wie draußen. Die dicken Steinwände und wenigen Fenster ließen der Sonne kaum Gelegenheit, die schweren Buchentische und Stühle aufzuheizen. Und dennoch waberte die dicke Luft durch die wenigen Räume, selbst die kleine Brise, die durch die offene Eingangstür herein kam, wagte es nicht, der Hitze etwas entgegenzusetzen. In der einen Ecke saß ein Musikant und putzte seine Laute. Er musste von einem nahen Hof stammen, denn er war des Öfteren hier, um zum Mittag zu essen. Doch selbst das, was fast zu einem Ritual für ihn und den Wirt geworden war, hatte er heute ausfallen lassen und lediglich ein Kanten Brot zu sich genommen. Selbst das Bier, das der Wirt im Keller des Hauses aufbewahrte, erwärmte sich auf dem Weg von unten bis zum Tisch des Gastes von erfrischend kühl zu Autokofferraum im Sommer. Hierzu trugen sicher auch die Krüge bei, die oben im Gastraum standen und somit wie all das andere Holz nicht davor gefeit war, unter dem Druck der Hitze zu ächzen.

Draußen war es so gut wie still. Selbst die Vögel konnten keine Motivation dafür finden, mehr als nur ein paar Male zu zwitschern und dann wieder für Stunden zu verstummen. Aus der Ferne drang nur das typisch metallische Klopfen, das entsteht, wenn der Schmied mit dem Hammer ein Stück Metall auf dem Amboss bearbeitet. Während jeder Bewohner seine Arbeit niedergelegt hatte, die Bauern mit den Kindern am Bach zu entspannen versuchten, arbeitete der Schmied unentwegt weiter. Klar, er war die Hitze von der Schmelzhütte und dem Schmiedefeuer gewohnt. Heute jedoch war die dicke, schwarze Kittelschürze offen und hing lediglich vom Hals des Schmieds herunter. Vielleicht war ihm darunter doch zu warm geworden. Die Stille wurde nur wenige Augenblicke später von klappernden Hufen durchbrochen. Erst sehr leise, dann lauter werdend schien sich jemand zu Ross dem Dorf zu nähern. Im Gutshaus blickte der Wirt vom Tresen auf. Man merkte, dass er durchaus daran interessiert war zu wissen, wer sich dort näherte. Aber in seinem aktuellen Zustand konnte er sich nicht dazu durchringen, den abgestützten Kopf zu heben, so dass er lediglich die Augen gen Tür richtete. So wie sich das Hufklappern anhörte, schien das Pferd ordentlich beschlagen zu sein, es konnte also keines der Bauern sein. Doch wer sollte sich zu dieser Tageszeit und vor allem bei diesem Wetter, in das Dorf verirren? Ritter und Adlige würden doch eher im Schloss verweilen. Und doch kam das Klappern näher, bis es recht plötzlich verstummte. Man hörte, wie sich jemand vom Pferd hievte. Das kurze, Hauruck-artige Geräusche wurde aber jäh von einem metallischen Scheppern übertönt, als wäre eine Klinge auf das Kopfsteinpflaster gefallen. Das genervt ausgestoßene “Scheiße”, dass nur einen Augenblick später von draußen kam, hallte nur so durch die Stille des Gutshauses. Nun endlich war die Situation so interessant geworden, dass nicht nur der Wirt, sondern auch der Musiker aus der Ecke ihre Köpfe ganz hoben und auf die offene Tür richteten. Der Mann von draußen seufzte kurz und hob die Klinge vom Boden, wobei die Schneide mit einem schrillen, klirrenden Kratzen über die Steine schliff. Sie wurde wieder in das Heft geführt, dann war es wieder still. “Was nun?”, dachte sich der Wirt, bis die Sonnenstrahlen, die durch die offene Tür des Gutshauses fielen, plötzlich von einem Schatten durchbrochen wurden. Das Licht umrandete die schwarze Gestalt und offenbarte so mehr Details über den Fremden: durchschnittliche Größe, weder sonderlich kräftig gebaut aber auch kein Lauch von einem Mann. Da man beim Absitzen vom Pferd kein weiteres Geschepper gehört hatte, konnte der Fremde keine schwere Rüstung tragen, und sein Umriss deutete auch eher auf eine leichtere Bekleidung hin. Vielleicht eine Lederwams. Die eine Hand auf das Heft seines Schwertes gestützt, trat der Mann nach kurzem Zögern ein, sodass ihn das Licht von einem Schatten in eine volle Gestalt verwandelte. Der Wirt erkannte ihn sofort, traute erst seinen Augen kaum und brachte dann nur ein kurzes, ungläubiges “Jacob?” heraus.

“Ist denn das zu fassen?”, juchzte der Wirt, schlug die Hände zusammen und fing an zu lachen. Vor ihm, in der Mitte des Gastraumes, stand nun ein stattlicher Bursche. Das kurze, hellbraune Haar war etwas wüst und der Bart seit ein paar Tagen nicht gestutzt worden. Trotz der Hitze konnte der junge Mann grinsen wie ein Honigkuchenpferd, was die Grübchen zum Vorschein brachte, an die sich der Wirt nur zu gut erinnern konnte.
“Georg! Wie schön es ist, dich nach all der Zeit wiederzusehen!”, stieß der Fremde freudig hervor. Der Wirt, sein Name war eigentlich Georgory, konnte es kaum fassen. Er ging raschen Schrittes um den Tresen, um Jacob zu umarmen. Dieser kam ihm einen Schritt entgegen, umarmte Georg und klopfte ihm vertraut auf den Rücken. Er nahm den Wirt bei seinen breiten Schultern, hielt ihn etwas von sich weg und musterte ihn ein mal von oben bis unten. “Wie lange ist es jetzt her? 6 Jahre? Eine Ewigkeit auf jeden Fall. Und trotzdem… hast du dich kein bisschen verändert”, sagte er, immer noch von einer Wange zur anderen grinsend. “Dafür hast du dich ganz schön verändert, kleiner Bursche”, merkte Georg an, während er ihn mit einer Hand auf dessen Schulter zum Tresen führte. “Aber setze dich erst mal, ich hole dir ein kühles Met.”
Während die korpulenten Schultern des Wirts im hinteren Teil des Gasthauses verschwanden, nahm Jacob auf einem der Hocker Platz. Er knöpfte sein Lederwams auf, unter dem er ein leicht schmutziges Hemd trug, und warf das Wams auf den Hocker neben sich. Er fuhr sich ein mal durchs Haar und blickte sich dann um. Als er den Musiker in der Ecke entdeckte, nickte er ihm freundlich zu und ließ seinen Blick weiter durch den Raum wandern. Genau so, wie er es in Erinnerung hatte. Er zupfte am Hemd, um es von seinem verschwitzten Körper zu lösen und etwas Luft an die Haut zu lassen. Ein Bad im Fluss wäre jetzt wohl genau das richtige gewesen.

Von hinten hörte man wieder schwere Schritte die Treppe hinauf kommen, das Knarren der Stufen schien sich durch das gesamte Gehölz zu ziehen. Dann stand Georg wieder in der Tür, in der Hand einen mächtigen Krug haltend, von dessen oberen Rand weißer Schaum herunterlief. Der Krug wanderte in Jacobs Hände und wurde gleich um einen guten Schluck Met erleichtert. Erstaunlicherweise war das Met diesmal halbwegs kühl und somit auch erfrischend geblieben. “Hmmmm, wahnsinnig lecker! Wird es immer noch im alten Hof gebraut?”, fragte Jacob, nachdem er den Krug abgestellt hatte. “Sicher, sicher, der alte Kauz ist immer noch so fleißig wie früher. Aber er wird die Brauerei wohl bald abgeben müssen, vermutlich an seinen Neffen. Sein Sohn ist vor einigen Jahren in einem Kampf gefallen.” Georg stützte sich dabei mit beiden Händen auf den Tresen und sein fröhliches Lächeln wich einem neutralen, nichts aussagenden Blick in die Leere. Jacob nickte etwas bestürzt, dann schüttelte Georg den Kopf, als wolle er einen unliebsamen Gedanken loswerden. “Aber nun zu dir, Jacob. Was verschlägt dich nach all der Zeit hierher zurück?” “Nun, lieber Onkel, es gibt eine Menge zu erzählen”, antwortete Jacob und begann wieder zu grinsen.

To be continued.